Sterenbogen

Imbolc

Foto: ONZ via Canva

Ich spüre es ganz tief in mir drin. Das leise Kribbeln und sanfte Vibrieren. Es ist seit ein paar Sonnenläufen zu spüren. Vorher war ich langsam und träge, wollte immerzu schlafen und essen, mich gemütlich einrollen an warmen Plätzen. Rausgehen? Ach nee, nur wenn es unbedingt nötig war.

Doch jetzt spüre ich etwas anderes, es juckt mich regelrecht im Innern. Etwas wächst in mir, in meinem Bauch. Es ist noch ganz klein und zart und will sich noch nicht so recht entfalten. Das hat noch Zeit. Es lässt sich nicht benennen. Und manchmal, da bricht es einfach aus mir heraus und ich muss rennen. Dann will ich meine starken Muskeln spüren, die irre Geschwindigkeit, zu der ich fähig bin. Ich spreize meine Tatzen zu riesigen Schaufeln aus, rutsche und schlittere. Sprudelnde Freude durchspült mich als mächtige Welle. Und meine Menschen kichern und freuen sich mit mir.

Die Sonnenläufe werden wieder länger, das merke ich wohl. Aus dem Boden und den Pflanzen kommen Geräusche von Schwellen und Regen. Und dann ist es wieder so kalt, dass alles stillsteht. Mein Fell bauscht sich wärmend um mich, wie schön. Die Luft ist besonders: zart, frisch und doch schneidend. Nur die Mäuse sind langweilig und lassen sich nicht blicken. Ich halte stets Ausschau.

Heute ist etwas anders, meine Menschen laufen mehr als sonst herum. Sie stellen Dinge auf mein Balancierbrett an der Gartentür. Sie werkeln in der Küche herum, aber nicht, um mein Essen hinzustellen. Sie reden und lachen mehr als sonst. Es kommen immer mehr Menschen mit interessanten Gerüchen. Hier ist was los! Ich beobachte alles aus meiner Nische in der Garderobe. Sie lachen alle und rufen „Tiger!“, wenn sie mich dann irgendwann entdecken. Sie haben wirklich keine so guten Sinne wie ich, die Armen. Nur dann wollen mich alle anfassen, echt, das ist nervig. Immer wieder muss ich mir ihre Gerüche abputzen, die sie an meinem wunderschönen getigerten Fell abstreifen.

Dann geht es hinaus in den Garten. Ich muss das natürlich beobachten und laufe mit ihnen. Von meinem Platz auf den Steinen habe ich einen guten Blick auf sie. Sie stecken in ihren dicken Hüllen, die sie immer extra anziehen müssen, wenn es in die Kälte geht. In einem Kreis halten sie sich an ihren Händen. Außen sind vier Flammen und innen eine. Sie singen und gehen im Kreis und dann sehe ich es: Sie verändern das Sein um sich. Eine Kuppel entsteht aus wirbelnden Farben und leichtem Sein. Das lockt auch die kleinen Wesen aus dem Garten an, die ich sonst nur selten sehe. Sie stehen herum, machen mit und freuen sich daran. Ich schaue nur zu, genieße und schnurre leise. Zwischendurch reden die Menschen einzeln oder gemeinsam. Sie singen immer wieder. Und dann nimmt jeder von ihnen eine kleine Flamme in die Hand – es ist faszinierend wie das geht, ohne dass sie sich verbrennen. Zu einem langsamen Lied gehen sie schwingend hintereinander her und umeinander herum. Sie bilden eine Kette, die sich eindreht und wieder ausdreht und die Kuppel schwillt an und wird immer kräftiger. Heller und stärker wird sie. Geistwesen tanzen mit und die Energie wird immer funkelnder, das Licht der Flammen zeichnet Spuren im Raum, die bleiben und alles immer glitzernder machen. Und dann bleiben die Menschen stehen, recken ihre Hände nach oben und lassen mit einem lauten Geräusch die Energielichterfäden nach oben und außen strömen. Als könnten sie die ganze Welt erhellen. Na, vielleicht machen sie das ja auch. Ich schaue gebannt hinterher, als die Energie ihrer Wege zieht. Die Geistwesen ziehen mit und helfen, sie zu verteilen. Auch ich bekomme etwas davon ab – es ist schön und warm und glücklichmachend. Schnurr.

Danach scheinen die Menschen auch glücklich und gleichzeitig erfüllt und erschöpft zu sein. An ihnen haftet noch das Glitzern. Sie lassen die Seins-Kuppel wieder schrumpfen und sich auflösen. Die kleinen Wesen ziehen sich wieder zurück, aber ein paar gehen mit ins Haus. Ich schaue von außen vor der Gartentüre zu, wie die Menschen ihre Hüllen dort drinnen wieder ausziehen und sich zum Essen an den großen Tisch setzen. Sie lachen und reden – aber das tun sie ja eigentlich immer. Irgendwann gehe ich auch hinein und lege mich auf meinen aktuellen Lieblingsplatz im Schaukelstuhl. Netterweise liegt dort meine Lieblingsdecke parat. Nach ausgiebigem Putzen rolle ich mich ein und schaue immer mal mit einem Auge rüber zu den Menschen. Das Glitzern blinkert im ganzen Raum, haftet an ihrer Haut und blinkt aus ihren Augen. Eins der kleinen Wesen kuschelt sich an mich und zusammen schlafen wir ein.

AnaNut