Fulla
Die Heiterkeit dieser Maientage widerspricht aller Besorgnis, die viele von uns mit sich tragen. Sie ist heilend, diese Maienzeit. Der Mai gilt traditionell als der lieblichste und magischste von allen Monaten, der Sommer beginnt, die Plejaden sind aufgestiegen und der Holunder bedeckt sich mit seinem weißen Lebenskleid.
Dies ist die Zeit der germanischen Göttin Fulla, die uns Leichtigkeit und Fülle schenkt.
Fulla mit ihren langen wehenden Haare ist eine große Schönheit, und ihre zarte Gesichtsfarbe spiegelt das Rosenrot der Morgenröte und der aufgehenden Sonne. Ihre Juwelen sind die Tautropfen auf den Wiesen, und die bunten Blüten sind ihr Zaubergewand. Sie vertreibt das Böse, sei es in der Welt, oder auch in Träumen und schlimmen Erinnerungen, und sie schenkt blühendes Leben. In Ihrem Wesen spiegelt sich die Wirklichkeit des Lebens, und einer Welt, wie sie eigentlich gemeint ist, und wie wir sie als Menschheit immer wieder auf neue verfehlen. Dennoch ist die Göttin Fulla und das, was sie uns schenkt, die eigentliche und liebende Ordnung der Großen Mutter.
Fulla schenkt Leichtigkeit und Fülle auf Schritt und Tritt. Sie ist die Göttin der edlen Steine und wacht über die Schatzkammern der Erde. Fulla ist auch die Hüterin von Geheimnissen und verborgenen Schätzen, von unentdecktem Reichtum: In uns selbst und draußen in der schönen Welt.
Und jetzt ist es höchste Zeit, Fulla draußen in der freien Natur zu finden. Sie hat da und dort an geheimen Plätzen ihre Schätze verborgen. Auch in nicht materialisierter Form, als Atmosphäre, in der Erinnerung. Du darfst dich nun wie alle Schatzfinderinnen auf den Weg machen, losstreifen auf den wilden Pfaden … Von weitem zieht dich eine weiße Blütenwolke an, und beim Näherkommen ist es die uralte Hollerin, die ihr knorriges, sprödes Holz, ihr grünes Unterkleid mit weißer Blütenfülle zudeckt. Einladend lockt sie dich zu sich, und du nimmst auf ihrem Wurzelfuß Platz, lehnst dich an sie. Sie flüstert dir zu: Es sind deine eigenen Schätze, die du finden darfst, steige hinab ich in die Untere Welt, in unbekannte Räume und beginne zu träumen. Spüre deinen Schätzen nach, den verlorenen, alten, neuen, noch unbekannten …
Und so überlässt du dich in Frau Holles Höhle unter ihren Wurzeln dem Finden, Auffinden, dem Spüren nach deinen eigenen Schätzen …
Nach geraumer Zeit stehst du wieder auf, schüttelst und reckst dich, setzest einen Fuß vor den anderen, spürst, witterst, verbindest dich mit der Geistin … Leichtigkeit führt dich an der linken Hand, Fülle hält dich rechts. Und dann findest du in dem ausgebreiteten Röckchenschoß eines Frauenmantels verborgen das taufunkelnde Juwel, das in allen Farben schillert, glitzert. Irgendwie ist es deine Seele, die dir im Juwel des Frauenmantels zulächelt …
Fulla ist mit dir, und mitten in dieser Welt fühlst du dich eingehüllt in die liebende Ordnung der Großen Mutter.
Bild: Fulla von Andres Dechant
Avesta