Die Eibe – Tod und ewiges Leben

Dunkel im Stamm und Nadelgrün, knöchrig und etwas unheimlich steht sie da, die Eibe, der mystische heilige Baum, der mit den Todes-Göttern und -Göttinnen verbunden ist und gleichzeitig das ewige Leben symbolisiert.

In Frankreich zog mich ein kleiner Eibenhain an, seiner Ausstrahlung konnte ich mich nicht entziehen. Hier, in diesem sonst recht lichten Garten eines zerfallenem Klostergeländes, luden die Bäume mich ein, innezuhalten, und die Furchen im Stamm und den einzigartigen Wuchs genauer zu betrachten. Eine Ruhe und Tiefe ging von diesen Bäumen aus, die mich berührte, und trotz der dunklen Wirkung in mir Frieden auslöste. So ließ ich mich nieder, dankbar über den Schatten und die Kühle, und begann über die Eibe nachzusinnen.

Jetzt, in diese Jahreszeit, passt sie gut mit ihrer dunklen Ausstrahlung. Zu Samhain, wenn die Schleier zu unseren Ahnen dünn sind, und wir ihre Gräber besuchen, begegnen wir ihr als sanfte Hüterin der Toten auf dem Friedhof. Hier steht die Eibe in ihrer spirituellen Dimension, die uns an den Tod und an die ewig lebenden Seelen erinnert.

Die Eibe ist ein sehr, sehr alter, besonderer Baum, der bis in die Eisenzeit in Europa in großen Wäldern weit verbreitet war. Sie ist ein Urbaum mit einer Geschichte, die 200 Millionen Jahren zurück reicht, was Fossilienfunde uns bestätigen. Der sehr langsame Wuchs und ihr begehrtes Holz, welches hart und gleichzeitig biegsam ist, wurde ihr zum Verhängnis. Waffen wie der Eiben-Langbogen, Speere, aber auch Nägel für Schiffe reduzierten den langsam wachsenden Eibenbestand in ganz Europa radikal. Gehalten haben sich manche alten Bäume auf Friedhöfen oder an anderen heiligen Stätten, die uns ein Hinweis auf ihren spirituellen Aspekt als Todes- und Lebensbaum sind.

Der Todesaspekt der Eibe ist sehr schnell gefunden, denn bis auf den roten Samenmantel der kleinen seltsamen Beeren, sind alle Teile an diesem Baum giftig. Das meiste Gift sitzt in den Nadeln, doch auch das Holz und die Samen, die in den Beeren stecken, sind tödlich (allerdings braucht es mehr als 60 Samenkerne für einen Menschen, um zu sterben). So kann sie uns tief ins Reich der Dunkelheit zum Tod führen, und hält gleichzeitig die Kraft der Ewigkeit und der Regeneration als „Baum des Lebens“ in sich. Denn Eiben können, wenn wir sie lassen, nahezu ewig leben und sich immer wieder erneuern. Dazu haben sie gleich 3 Methoden entwickelt. Ihre Äste können sich in alle Richtungen ausdehnen. Berühren sie dann den Boden, bilden sie Wurzeln, aus denen neue Bäume und runde Haine um den Mutterbaum entstehen. Es gibt weibliche und männliche Eiben, doch wenn es nötig ist, kann sie beide Geschlechter auf einem Baum ausbilden oder ihr Geschlecht ganz ändern. Was mich besonders fasziniert ist, dass nach mehreren hundert Jahren der Stamm innerlich zu faulen beginnt und gleichzeitig von oben her neue Wurzeln in Richtung Erde wachsen, die dann in einem langen, langsamen Prozess einen neuen Stamm bilden. Der alte Stamm verfällt, und diese Besonderheit macht es nahezu unmöglich, das wahre Alter der Bäume zu bestimmen. Es gibt somit nur Schätzungen von alten, noch lebenden Eiben auf ein Alter von 1.300 bis zu 5.000 Jahren.

Unsere Ahnen sind über Jahrtausende durch Eibenwälder gestreift. Sie trugen Amulette zum Schutz und zur Stärkung vor Gefahren aus ihrem Holz und verehrten sie als heiligen Baum.

Die heilige Eibe kann uns eine Führerin sein in der Dunkelheit, beim Weg in die Tiefe. Sie kann uns helfen, mit den Ahnen in Verbindung zu treten und ihren Weisheiten zu lauschen. Mit ihr sind wir geschützt und im Vertrauen, denn sie zeigt uns, dass es viele Wege der Erneuerung gibt, und Tod und Leben zusammengehören. Im Begreifen ihrer Kraft können wir Ruhe, Verlangsamung und tiefen Frieden empfinden. Der dunkle mystische, knöchrige Baum schenkt uns dann die spirituelle Dimension des Eingebundenseins in das ewige Werden und Vergehen.

Mein Erleben im Sommer nehme ich jetzt mit in die dunkle Jahreszeit. Ich verbinde mich mit ihrer Kraft und lasse mich beim Abstieg von ihr führen, bereit, nach innen zu schauen zum Grund meiner Seele. Das Außen, dass, was jetzt sterben will, darf vergehen. In der alten Hülle im Dunklen finde ich Ruhe, wohl wissend, dass von oben neue Wurzeln wachsen werden.

Vielleicht begegnet ihr diesem alten weisen Baum. Dann schenkt ihm eure Aufmerksamkeit und lauscht, was für eine Botschaft er für euch bereithält. Ein Tipp und ein sehr besonderes Erleben ist der noch existierende Eibenwald in Paterzell mit zirka 2.000 teilweise sehr alten Eiben – ein Erleben der ganz besonderen Art.

Bridget

Literatur:
Blätter von Bäumen – Susanne Fischer Rizzi
Der Geist der Bäume – Fred Hageneder