HERstory und mal nicht HIS(s)tory
Frauengeschichte ist für uns ein wahrer Schatz und eine starke Wurzel. Über viele zehntausende von Jahren zeigt sie uns weltweit eine kraftvolle Vergangenheit auf. Indem wir uns mit dieser Wurzel verbinden, uns unsere weibliche Spiritualität zurückholen, können wir heil werden. Wir erfahren uns als Schöpferinnen des Lebens.
Wir erkennen durch die Geschichte auch den schmerzhaften Teil der Vergangenheit, der oft noch tief in uns verankert ist, den Verlust unserer Eigenmacht, hin zur patriarchalen Herrschaft über die letzten zirka 1 000 bis 4 000 Jahre der Menschheitsgeschichte.
Frauen-Wurzeln finden sich in vielen Bereichen
Frauengeschichte
Erste sichtbare Fäden unserer Wurzeln finden sich in der Kunst. Die Beseelung der Materie durch das Formen und künstlerische Gestalten von Gegenständen, Höhlen und Steinen sind durch zahlreiche Funde belegt. Die bekannten ältesten Kunstwerke unserer Ahnen sind die europäischen Steinzeithöhlen. Sie sind nachweislich von Frauen (75% weibliche Handabdrücke), Jugendlichen (15%) und Männern (10%) erschaffen (geometrisch morphologische Forschungen an Handabdrücken von Dean Snow, Anthropologe der Pennsylvania State University, Anthony Sinclair, Archäologe, und dem forensischen Biologen Patrick Randolph-Quinney , Liverpool).
Die schöpferische Kraft der Künstlerinnen
Symbole, Amulette, Tonkrüge, Statuen, Ritzungen und Schmuck zeugen über Jahrtausende von der schöpferischen Kraft der Künstlerinnen. Frauen waren Künstlerinnen, Sammlerinnen, Jägerinnen, Töpferinnen, Händlerinnen, Kriegerinnen und Weisheitsträgerinnen. Sie waren Mütter und als solche diejenigen, die das Leben hervorbringen und gestalten. Mit ihren Kindern bildeten sie über zehntausende von Jahren den Mittelpunkt der sozialen Gemeinschaften und Sippen.
Die ältesten figürlichen Funde sind weiblich (der bisher älteste Fund ist die Venus vom Hohle Fels in Schelklingen, ca. 35 bis 40 000 Jahre v.u.Z., und die Venus von Willendorf, ca. 34 000 Jahre v.u.Z.). Die zahlreichen Darstellungen, als nährende Lebensspendende, als kraftvoll Gebärende, als üppige Lustvolle, als zeitlos Abstrakte, als Erd- oder kosmische Göttin, zeugen von der Vielfalt des Frauseins.
Die kraftvolle Stellung der Frau in der Urgesellschaft
Archäologinnen und Wissenschaftlerinnen wie Maria Gimbutas, Maria König, Monica Sjöo, Gerda Weiler, Gerda Lerner, Carola Meier-Seethaler, Heide Götter-Abendroth waren Vorreiterinnen, die das Bild der Frauen der Vorzeit in ihrer kraftvollen Stellung nachwiesen. Sie erkannten, dass die Urgesellschaften egalitär waren und das Überleben und Gedeihen der Menschheit auf direkte und achtsame Verbindung zur Natur und deren Zyklen basierte. Steigen wir in diese Vergangenheit ein, öffnen sich neue Tore und Sichtweisen, die unser heutiges Leben bereichern können.
Das Bild einer untergeordneten Rolle der Frauen in der Frühgeschichte ist heute nicht mehr haltbar. Neue Funde und Forschungen weltweit belegen, dass die Urgesellschaften egalitär waren: Gesellschaften mit kraftvollen gleichwertigen Frauen. Vgl. den Terra X-Beitrag des ZDF vom 12.07.2020 „Mächtige Männer und ohnmächtige Frauen?“
Die Sesshaftwerdung der Menschen und die Kultivierung des Ackerbaus öffneten das Tor zu dem späteren patriarchalen monotheistischen Gebot, sich die Erde „untertan“ zu machen. Die bisher geltenden sozialen Rollen konnten sich bis in die Bronzezeit halten, lösten sich dann nach und nach auf, Kinder und Frauen wurden minderwertig.
In Teilen von Europa, in keltischen und germanischen Stämmen lebte die weibliche Stärke weiter. Die eigenständigen Frauen konnten sich teilweise bis ins frühe Mittelalter hinein halten, bis sie mit der Hexenverfolgung und dem Dreißigjährigen Krieg gänzlich untergingen.
Heute noch finden wir Völker und Sippen, die egalitäre und matriarchale Gesellschaftsformen leben: die Mosuo in China, die Khasi in Indien, die Juchitán in Mexiko, indianische Stämme in Südamerika und dem afrikanischen Namibia sowie das Volk der Samen).
Mythen und Märchen
Weitere Wurzeln ziehen wir aus den Mythen und Märchen des nordeuropäischen Raumes sowie aus den alten griechischen Mysterienspielen und dem babylonischen Kulturraum. Historisches Frauenwissen wird nicht nur in Texten und Schriften überliefert, sondern oftmals auf eindrückliche Weise durch Mythen und Märchen weitergetragen. Frauen kultivieren die mündliche Überlieferung von Tradition und Wissen. Die archetypischen Bilder der Mythen ermöglichen tiefe Einsichten über emotionale und geistige Entwicklungswege.
So sind Mythen, Märchen und Sagen von Mund zu Ohr weitergetragene Lebenswirklichkeiten. Sie handeln von Tod und Wiedergeburt, sie erzählen uns von gesellschaftlichen Werten, vom Eingebundensein in die Natur, von Einweihungswegen und Initiationen bis hin zum Entstehen der Welt. Im genauen Erforschen lässt sich altes Frauenwissen und weibliche Spiritualität in ihnen aufspüren und wir können ähnlich wie in der Geschichte der Inanna, Schicht für Schicht die Überlagerungen der Zeiten abtragen und zu einem Wissen vordringen, dass uns das Bild von starken, mit den natürlichen Zyklen verbundenen Frauen aufzeigt.
Bücher-Tipps:
- Vera Zingsem: Freya, Iduna und Thor – Vom Charme der germanischen Göttermythen, Klöpfer & Meyer Tübingen
- Dagmar Margotsdotter-Fricke: Die gute Mär – Mutterkunde in Märchen, Christel Göttert Verlag
Schamaninnen, Orakelpriesterinnen, Hellseherinnen
Schamanismus ist kein einheitliches Phänomen. Er findet sich auf jedem Kontinent, er ist uralt und hat kulturspezifisch unterschiedliche Techniken in den verschiedenen Völkern entwickelt. Oft wird Schamanismus mit dem amerikanischen oder sibirischen Raum assoziiert. Doch ist der Schamanismus in Europa ebenso beheimatet. Schamaninnen, ihr Wissen, ihr kosmologisches Verständnis und ihre Praktiken gehören elementar zu den Wurzeln unserer Frauengeschichte und zum „Weg der Weisen Frauen“.
In Verbindung mit dem andersweltlichen Sein gehen
Wir bezeichnen uns nicht als Schamaninnen und bilden dahingehend nicht aus. Dennoch vermitteln wir Praktiken, um im erweiterten Bewusstseinszustand mit dem andersweltlichen Sein in Verbindung zu gehen. In unserem Verständnis steht die sichtbare Welt in Korrespondenz mit der nicht sichtbaren Welt, Anderswelt benannt. Wir öffnen unsere Wahrnehmung für die Natur und spüren ihre Beseelung, die Beseelung durch das andersweltliche Sein. Hierdurch begreifen und erfahren wir die Natur, Mutter Erde, in all ihren Erscheinungsformen als lebendiges Wesen, welche wir achten, ehren, für sie verantwortlich Sorge tragen. Darüber hinaus schenkt uns der Kontakt mit der Anderswelt Erfahrungen und Impulse für unsere persönliche und auch gemeinschaftliche Entwicklung. Beispielsweise schaffen wir in Ritualen einen Raum, im Kontakt mit der Anderswelt zu wirken, zu heilen und auch uns weiter zu entwickeln.
Wo begegnen uns Schamaninnen der Frühzeit?
Sie begegnen uns beispielsweise in weiblichen Figuren und bildlichen Darstellungen, archäologische Funde von Schamaninnen (Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle a.d. Saale), in der Mythologie, in frühen Schriften (Edda).
Seiđr ist eine Form des Schamanismus, welche in den nordischen Ländern wie Skandinavien, Island, Lappland, im friesischen Teil der Niederlande angesiedelt ist. Das Seiđr-Wissen ist der Göttin Freyja zugeordnet(Edda; isländische Sagas; Hilda Ellis Davidson: Götter und Mythen Nordeuropas, Penguin Books Ltd, 1964).
Felicitas D. Goodman konnte anhand ihrer Forschungen nachweisen, dass Körperhaltungen weiblicher Figuren rituelle bzw. Trance-Haltungen sind, die spezifische themenentsprechende andersweltliche Reisen ermöglichen.
In der germanischen Geschichte nehmen die priesterlichen Seherinnen, Vala oder Veleda genannt, eine bedeutende Position für das Volk ein. Sie werden bei wichtigen Fragestellungen und Entscheidungen befragt. In Süddeutschland begegnet uns zum Beispiel die Sybille von der Teck als Seherin. Die Orakelpriesterinnen von Delphi oder Kassandra sind weitere Beispiele von Seherinnen bzw. Orakelpriesterinnen. (Vera Zingsem: Der Himmel ist mein, die Erde ist mein, Rosemarie Kirschmann: Von beseelten Orten)
Priesterinnen, Hohepriesterin
Die Rolle beziehungsweise Stellung der Hohepriesterin ist aus unserer kulturellen Gegenwart scheinbar verschwunden. Wir finden sie in archäologischen Funden zum Beispiel als Figurinen der Priesterinnen der Schlangengöttin von Kreta oder in ägyptischen Gräbern von Priesterköniginnen.
Oft waren sie einer Göttin und ihrer Aufgabenstellung zugeordnet, zum Beispiel die Priesterinnen der Göttin Hathor oder Neith aus Ägypten, die Schlangenpriesterinnen der Schlangengöttin aus Kreta, die Priesterinnen der Artemis in minoischer Zeit, sowie die Priesterinnen in Eleusis der Demeter und Kore. Bei den Römern hüteten die Vestalinnen der Göttin Vesta das Feuer, genauso wie die 19 Priesterinnen der Bridget in Irland. Über die Priesterinnen der Kelten und Germanen finden wir schriftliche Hinweise in Aufzeichnungen römischer Historiker (siehe im Abschnitt „Schamaninnen“) und auf dem Südamerikanischen Kontinent gab es sie bei den Mayas.
Wir gehen davon aus, dass zu allen Zeiten weltweit Priesterinnen zu finden sind, die Ihre Kraft und Verantwortung für eine kollektive Aufgabe ihres Volkes zur Verfügung stellten. Priesterköniginnen, Hohepriesterinnen oder Priesterinnen hielten das Wissen über sakrale sowie kultische Handlungen, wie Einweihungen, Übergänge (z.B. Geburt, Reife, Sterben, Tod), Rituale zu wichtigen Lebensthemen und Frauenmysterien, sowie die Kraft der Sexualität, inne. Sie stellten ihre Fürsorge und Kraft in den Dienst dieser übergeordneten Aufgabe und agierten als Mittlerinnen zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen in ihrer Kultur. Je nach Stamm und Volk widmeten sie sich ganz diesem Weg oder waren neben ihren Alltagstätigkeiten diesen Aufgaben verpflichtet, wie bei den Germanen vermutet.
Wiedererwecken und Stärken der Priesterinnen
Mit der Festigung des Patriarchats gingen die Priesterinnen unter. Sie wurden verunglimpft, vertrieben oder ermordet (z.B. Vestalinnen). Altes Wissen über weibliche Mysterien, Einweihungen, Übergänge gingen größtenteils verloren. Männliche Priester übernahmen die Macht.
So ist es uns ein wichtiges Anliegen, die Frauenkraft in diesem Bereich wieder zu erwecken und zu stärken. Wir haben in unserem Kreis Hohepriesterinnen, die das Wissen über den „Weg der Weisen Frauen“ und die Initiationen halten. Unsere erste Hohepriesterin Avesta bekam ihre Einweihung durch Lady Magdalena, einer Hohepriesterin der Wicca-Tradition aus den USA.
Avesta erforschte unsere alteuropäischen Wurzeln und unser keltisches Erbe. Sie forschte in Aufzeichnungen der Hexenverfolgung bzw. den Hexenprozessen, in Volkskundlichen Schriften zu Riten und Bräuchen. Märchen, Mythen und Symbole waren unter anderem Quellen, die ihr Weisheiten und Wissen über Frauenkraft sowie weibliche Spiritualität im alten Europa vermittelten. So erschuf sie einen spirituellen Lehrweg, den „Weg der Weisen Frauen“, der zutiefst durch die Zwiesprache mit der Natur beseelt ist. Diese Lehre wird seit 1987 angeboten.
Anut, Gründerin des Frauenheilehaus und des Beginenprojektes in Wennenden, wurde die zweite Hohepriesterin.
Der Lehrweg der Eulen
Den Lehrweg „Der Weg der Weisen Frauen“ geben initiierte Frauen, Eulen genannt, weiter. Aus diesem Kreis der Eulen machen sich Frauen bereit, den Weg der Hohepriesterin zu gehen und die Tradition so weiterzutragen.
Die Aufgaben der Priesterinnen und die Lehrtätigkeit werden neben dem Beruf und dem alltäglichen Leben ausgeübt. Als Teil unserer Ethik sehen wir unsere Rituale und Initiationen als unser spirituelles Erbe und bieten diese zum Selbstkostenpreis an.